Von aussen sieht es wie ein ganz normales Einfamilienhaus aus. Keiner würde auf die Idee kommen, dass sich hier an der Obstgartenstrasse ein Sternerestaurant befindet. Dieses Haus in Schlattingen war die letzten drei Jahre die Wirkungsstätte von Cornelius Speinle, seiner Frau Kirstin und ihrem gemeinsamen Team. Mit 27 Jahren hat Cornelius das Haus gepachtet. Seitdem wohnen Speinles mit ihrem kleinen Sohn im oberen Stock und bewirten an fünf Tagen die Woche jeweils rund 15 Gäste in ihrem zum Restaurant umfunktionierten Wohnzimmer.
Die Küche hat genau die Grösse, die man in einem Einfamilienhaus erwartet. Zwei Herdplatten stehen dem dreiköpfigen Team zur Verfügung. Ab und an gönnt man sich den Einsatz einer dritten, mobilen Platte für die Fonds. Die Platzverhältnisse sind sehr knapp bemessen. Kein Problem für den sympathischen Thurgauer. Cornelius erzählt uns, dass er schon auf kleineren Arbeitsflächen gearbeitet hat. Er denkt dabei an die Zeit im 3-Sterne-Restaurant The Fat Duck von Heston Blumenthal im englischen Bray. Dort hätten sich sieben Köche in etwa die gleiche Fläche geteilt, wie sie ihnen hier zur Verfügung steht und dennoch hätte man damals in der obersten Liga gekocht.
Seit der Übernahme des dreizehn sinne arbeitet man mit grosser Passion und Kreativität. So startet man jedes Menü mit dem eigens konzipierten „Sinne-Turm“. Darin findet der Gast sieben Fächer zum herausklappen – eines für jeden Gang des Überraschungsmenüs. In den Fächern findet man jeweils einen Hinweis zum jeweiligen Gericht das später folgen wird. So schmeckt der Cracker im ersten Fach nach Auberginen und Essig, der Sponge im nächsten nach Leber und Kaffee und im fünften findet man ein Origami in Form einer Ente. Uns gefällt diese Idee gut. Es wäre nur schön wenn man später beim Servieren der Gerichte kurz auflösen würde was man im jeweiligen Fach tatsächlich rausschmecken konnte und wie man den Brückenschlag zum nun servierten Gericht macht.
Dass Cornelius bei Blumenthal gearbeitet hat merkt man beim Amuse Bouche, welche hier „Zungenreiniger“ heissen. Aus einem magisch dampfenden Teekessel wird ein kalter Früchtetee über ein Verjus-Sorbet gegossen. Blumenthal soll schon vor Jahren herausgefunden haben, dass der Gast die Geschmäcker intensiver wahrnimmt, wenn man diese mit dem qualmenden Dampf inszeniert.
Speinle hat auch bei anderen grossen Chefs gearbeitet, zum Beispiel beim deutschen 3-Sterne-Koch Klaus Erfuhrt in Saarbrücken. Dort hat er das präzise Handwerk gelernt. Dies kommt gleich beim ersten Gang sehr gut zur Geltung. Hier werden verschiedene Gemüsesorten zu einem Gemüsebeet vereint. Speinle erzeugt ein sehr puristisches Geschmackserlebnis welches fast ausschliesslich von einer leichten Säure unterstrichen wird.
Wunderschön ist auch das Rocher à la Speinle. Der Klassiker von Ferrero wird hier mit feinstem Gänseleber-Mousse interpretiert. Das Goldblatt symbolisiert die goldene Verpackung des Originals. Auch die obligate Haselnuss aus dem Piemont in der Mitte darf nicht fehlen. Dass diese Praliné nur im Entferntesten etwas mit dem Massenprodukt aus Italien zu tun hat, ist schon vor dem Reinbeissen klar. Welch ausgezeichnetes Aroma die Kombination aber bringt, überrascht dann doch. Es ist wunderbar crèmig, das Aroma ist perfekt balanciert und die Nuss ein willkommener Begleiter. Ein wundervoller Genuss. Eher schwierig ist der Einsatz von Kaffee und Bananen. Speinle weiss das und setzt die konträren Aromen nur sehr dezent ein. Zudem nimmt er der gelben Frucht mit einer leichten Whiskey-Note etwas das dominante Aroma.
Die schönen Geschmacksbilder und die intensiven Aromen blieben auch dem Hamburger Unternehmer Klaus-Michael Kühne nicht verborgen, als dieser vor ein paar Monaten hier dinierte. Cornelius wusste nicht wer der Herr war und auch nicht weshalb er den langen Weg nach Schlattingen auf sich genommen hat. Kühne war nämlich auf der Suche nach einem Spitzenkoch für sein neues Luxus-Hotel The Fontenay in der Hansestadt. Er hat einen Tipp bekommen, dass er seinen Koch in der Nähe von Schaffhausen finden wird. Der Tippgeber sollte Recht behalten. Die Anreise aus dem weiten Norden hat sich gelohnt. Am 20. Januar wurden alle von der Pressemitteilung überrascht, dass Speinle das dreizehn sinne schliesst und in Hamburg als neuer Küchenchef anheuert. Eine veritable Überraschung – auch für Speinle, als er ein paar Wochen davor den Anruf bekommen hat. Der 30-Jährige hat nämlich gewusst welch grosse Chefs sich für diesen spannenden Job beworben haben. Man munkelt sogar, dass zwei deutsche 3-Sterne-Köche unter den Bewerbern waren.
So sind wir bei unserem Besuch auch etwas Wehmütig, dass es dieses spannende Konzept und die geschmacksvolle Küche von Cornelius Speinle bald nicht mehr in der Schweiz zu geniessen gibt und man stattdessen 900 Kilometer zurücklegen muss. Besonders als die Seezunge – das Highlight des Abends – serviert wurde. Der Fisch von bester Qualität und mit der perfekten Garstufe. Umhüllt von einem hervorragenden Safransud. Auch ganz stark die Calamari-Ringe mit den genialen Röstaromen. Der tolle Fenchel und der Dill bereichern das Gericht mit einer erfrischenden Note.
Bei jedem servierten Gang fragt man sich, wie ein solch kleines Team, solche Teller aus einer noch kleineren Küche schicken kann. Auch beim nächsten Gericht, bei dem Langoustinos zu Maki-Rollen verarbeitet wurden. Maki-Deluxe – besser geht es nicht. Das Ganze liegt in einem wundervollen Dashi-Sud, umgeben von gebratene Artischocken und feinsten, hauchdünn geschnittenen Champignons. Es ist ein Gericht zum reinknien, ein Gericht mit vollmundigen Aromen und einer perfekten Balance zwischen Eleganz und Süffigkeit.
Wie im „Sinne-Turm“ zu Beginn angedeutet, gibt es im Hauptgang eine Ente. Zum einen eine wunderbar zarte Brust mit viel Eigengeschmack, zum andern die geschmorte Keule mit einem Périgord-Trüffel-Mantel, sowie das Enten-Herz in Blut-Pudding. Hier werden wir wieder an Speinles grossen Lehrmeister Heston Blumenthal erinnert. Alles schmeckt ausgezeichnet. Man probiert hier und da und trifft überall auf Hochgenuss. Ein Hauptgang der begeistert.
Der Käse nach dem Hauptgang stammt vom grossen Maitre Antony, der selber Fan von diesem kleinen Restaurant ist. Er liefert regelmässig einen Laib zu dem Speinle jeweils eine Begleitung komponiert. Bei unserem Besuch ist es ein Livarot der von einem Ruchbrot mit Pumpernickel-Crème, Shimiji und Honig begleitet wird.
Als Dessert gibt es ein Rüebli-Kuchen mit weisser Schokolade in Form eines Donuts. Daneben gibt es noch weitere verschiedenfarbige Urrüebli. Das Dessert ist nur leicht gesüsst – was uns ausgezeichnet schmeckt. Auch die himmlische Milchschokolade und die knusprigen Baumnüsse ergänzen den süssen Abschluss gekonnt. Applaus gibt es auch für das griechische Joghurtglace und später für die tollen Friandises.
Fazit: Obwohl wir es Cornelius Speinle von Herzen gönnen, dass er in Hamburg eine solch grosse Chance bekommt, bedauern wir die Schliessung seines Restaurants in Schlattingen ausserordentlich. Die Schweiz wird einen sehr talentierten Chef verlieren. Einen Chef mit Leidenschaft, Durchhaltewillen und grossem Potential. Gleichzeitig darf sich Hamburg auf ein besonderes Talent freuen. Was Speinle in Schlattingen mit einem kleinen Team und drei Herdplatten gezaubert hat, ist echt verblüffend. Wir sind sehr gespannt wie er sich in Hamburg entwickelt und sind überzeugt, dass nach oben alles möglich ist.
Website zur neuen Wirkungsstätte von Cornelius Speinle.
(Besucht im April 2017)
Kirstin Speinle, Cornelius Speinle, Tobias Vetsch, Eva Brandl, Patrik Jahraus, Niklas Grom