Cà d’Oro in St. Moritz

Unser Weg mit Leo Ott kreuzt sich heute bereits zum dritten Mal. Die Küche des sympathischen Wieners lernten wir vor sechs Jahren in Arosa kennen. Damals kochte er im Tschuggen Grand Hotel Arosa, wo er auch seinen ersten Michelin-Stern einheimste. Im vergangenen Jahr trafen wir ihn wieder, damals im Castello del Sole, wo er, als rechte Hand von Mattias Roock, die Locanda Barbarossa bekochte. Und nun begegnen wir seiner Küche im mondänen St. Moritz, wo er im luxuriösen Grand Hotel Des Bains Kempinski für das Gourmet-Restaurant Cà d’Oro als Küchenchef verantwortlich ist.

Das 5-Sterne-Hotel Grand Hotel Des Bains Kempinski

Das Restaurant ist jeweils von Dezember bis März geöffnet. So kocht der Wiener im Sommer in Ascona und im Winter in St. Moritz. Entsprechend kann Ott auch auf einen Teil seiner Brigade aus Ascona zurückgreifen. Nachbar Rolf Fliegauf (Ecco in Ascona und St. Moritz) beweist seit über 10 Jahren (!), dass dies bestens funktioniert.

Schon beim Lesen des Menüs ist klar: Leo gibt Vollgas und bringt seinen Stil mit dem Nose-to-Tail-Ansatz auch ins Kempinski, obwohl Gäste hier wohl eher Kaviar und Rindsfilet gewöhnt sind. So gibt es bereits bei den Apéro-Snacks (7/10) einen österreichischen Klassiker: den Beuschel – ein Gericht bestehend aus verschiedenen Innereien. Ott füllt damit frech die Kroketten. Aber auch die Blutwurst ist Teil eines weiteren Snacks. Die beste Petitesse zum Auftakt? Das Tartlette mit Flusskrebs. Hier demonstriert die kleine Brigade, dass man auch leise und elegante Geschmackskombinationen perfekt beherrscht.

Weil Ott im Dorf keinen Bäcker gefunden hat, der ihm das Brot nach seiner Vorstellung backen kann, ist der 40-jährige mit seiner eigenen Sauerteigmutter ins Engadin angereist. Daraus backt er eines der besten Sauerteigbrote, die uns je serviert wurden und kredenzt dazu eine grossartige Butter mit viel Knusper. Danach startet das eigentliche Menü mit der französischen Foie Gras (8/10). Hier wird die Leber keck als „Müesli“ inszeniert. So zieht man den Löffel durch den Teller und schmeckt das wundervolle Aroma der crèmigen Leber zusammen mit den knusprigen Komponenten. Dazu noch etwas Frucht vom Granatapfel sowie ein wundervolles Brioche und fertig ist der ausgezeichnete Start ins Menü.

Schwarzer Kabeljau – Gurke – Minde – Grünes Curry

Weiter geht es mit dem scharzen Kabeljau (8/10) in einer wiederum sehr unorthodoxen Komposition. Zum Fisch, zuerst eingelegt und danach geflämmt, wird am Tisch eine klare Sauce mit Minzen und Gurken aufgegossen. Das schmeckt alles frühlingshaft frisch. Dazu gesellt sich eine dezente Schärfe vom grünen Curry. Akzentuiert wird das Ganze mit Säure von einer Salzzitronen-Crème und einer feinen Curry-Minz-Mayo. Das ist ungewohnt und spannend. Gewagt geht es im nächsten Gericht weiter, denn nun kommt der Auftritt vom Kalbsherz (7/10). Dieses wurde eingelegt, Sous-vide gegart, scharf angebraten und danach hauchdünn aufgeschnitten und gerollt. Darüber wird am Tisch eine wohlduftende Consommé aufgegossen. Wir lieben den Geschmack und sind überzeugt, dass man das Herz sogar noch etwas prominenter hätte einsetzen dürfen. Aber auch so offenbart sich für uns ein neuer, ungewohnter Geschmack, der den einen oder anderen Gast bestimmt herausfordern wird.

Lamm von Peduzzi „Massaman“

Der einzige Gang, der heute Abend abfällt ist dann die Rotbarbe aus dem Atlantik (6/10). Der Fisch ist einen Tick zu fest gegart und liegt in einer, für unseren Geschmack, etwas unharmonischen Sauce. Auch die frittierten Schuppen steuern einen ungewohnten Geschmack bei. Positiv gefällt uns dafür das meerige Aroma von den geschmackvollen Schwertmuscheln. Zum Glück gehts mit dem nächsten Gericht gleich wieder auf die Gewinnerstrasse. Denn mit dem Hauptgang serviert man uns auch gleich das Highlight das Abends: Das Lammnierstück „Massaman“ (9/10). Das Fleisch stammt von der Traditionsmetzgerei Peduzzi aus dem nahe gelegenen Savognin. Ott kombiniert das Nierstück mit einem Brät und umwickelt dieses mit Wirsing. Das sieht nicht nur schön aus, sondern schmeckt auch hervorragend. Dazu gibt es asiatische Aromen vom Basmatireis (als Schaum!), einer Erdnuss-Sauce und eine leichte Schärfe. Das hat alles so viel Geschmack und offenbart spannende Aromen – mega!

Engadiner Joghurt & Sauerampfer

Auch das Niveau beim Finale ist sehr hoch. Zuerst gibt es einen grossartigen Käse-Gang der uns bei der Annoncierung etwas irritiert: Ziegenkäse mit Schokolade (9/10) – funktioniert das? Ott und seine junge Pâtissière Raissa Lafranchi beweisen, dass dies eine Hammer-Kombo ist. Ebenfalls extrem stark ist das Hauptdessert Engadiner Joghurt mit Sauerampfer (9/10). Die Vermählung von Honig, Joghurt, Brombeere und Sauerampfer ist genauso spannend wie erfrischend.

Dass wir zu den verspielten und ausgezeichneten Friandises (8/10) keinen Espresso bestellen hat bisher noch keiner geschafft. Im Cà d’Oro wird jedoch ein gut bestückter Tee-Wagen vorgefahren, dem man gerne den Vorzug gibt. Mit geschickten Handgriffen werden frischen Kräuter geschnitten und zu einem geschmacksvollen Tee vereint. Schade, dass man dies nicht öfters in Restaurants sieht …

Leo Ott (rechts) mit Gastgeber Raffaele Rispoli

Fazit: Leo Ott und sein Team überzeugen uns einmal mehr. Echt beeindruckend zu sehen, mit welch grossem Engagement das Team hier arbeitet. Man ist mutig, setzt auch auf unkonventionelle Zutaten, ohne der Effekthascherei zu verfallen, denn es geht immer um den Geschmack. Die Dichte an Luxushotels ist in St. Moritz gross. Doch nur wenige haben ein solches Spitzenrestaurant in ihrem Angebot. Drücken wir die Daumen, dass die Kombination Kempinski und Leo Ott noch lange Bestand haben wird.

Atmosphäre: Es dauerte etwas, bis wir uns wohl fühlten. Das Restaurant ist zwar viel schöner, als es die Fotos auf der Website suggerierten, doch die laute Musik, das hohe Service-Tempo zu Beginn und die Sprachbarriere bei einzelnen Mitarbeitenden machten den Start etwas holprig. Zum Glück ist es aber kein Problem, wenn man als Gast das Tempo etwas reduzieren möchte und danach haben wir uns auch sehr wohl gefühlt.

Speisekarte: Das Degustationsmenü kostet zwischen 195 (4 Gänge) und 250 Franken (7 Gänge). À la carte gibt es eine Auswahl bei denen die Vorspeisen ca. 58 Franken, Zwischengänge ca. 65 Franken und die Hauptgänge ca. 110 Franken kosten.

Wein: Die Weinkarte ist umfangreich und offenbart einige Trouvaillen. Die Preise sind für ein solches Grand Hotel hoch, aber angemessen. Eine Weinbegleitung per Coravin steht auch zur Auswahl.

Online: https://www.kempinski.com/de/grand-hotel-des-bains/restaurants-bars/ca-d-oro

Wertung: Gourmör / Michelin / Gault-Millau

Sonderauszeichnung: Schöne Zigarren-Lounge vorhanden

(Besucht im Februar 2024)

La Miranda Gourmet Stübli in Samnaun

Das beste Hotel in Samnaun, das Chasa Montana, erstrahlt seit diesem Winter im neuen Kleid. Die engagierte Inhaberfamilie Zegg hat einen zweistelligen Millionenbetrag für die Modernisierung der Zimmer, für eine nachhaltige Infrastruktur sowie für die Neugestaltung der öffentlichen Bereiche und Restaurants investiert. Auch das Gourmetrestaurant La Miranda Gourmet Stübli hat ein Facelift erhalten und ist nun in heimeliges Arvenholz gekleidet. Durch das neue Interieur mussten zwei Tische weichen, wodurch das Lokal mit acht Sitzplätzen zu den kleinsten Sternerestaurants der Welt zählt.

Um das La Miranda zu betreten, läuft man zuerst durch das italienische La Pasta im Hotel hindurch. Punkt neunzehn Uhr sind wir dort und werden von der freundlichen Dame im Service begrüsst und an unseren Tisch begleitet. Wir fühlen uns im neuen Interieur sofort wohl – auch wenn wir heute Abend die einzigen Gäste sein werden. Dies kommt ab und zu an Samstagen vor. Denn heute reisen die meisten Gäste an und wählen zum Start eines der anderen Restaurants und sparen sich das Highlight für später auf. Die Hausgäste können sich nämlich zwischen vier Restaurants entscheiden – für Gourmets ist dies ein tolles Konzept. Für alle Restaurants ist Bernd Fabian zuständig. Der sympathische Österreicher ist seit 2016 Executive Chef im Hotel.

Stand beim letzten Besuch im La Miranda noch eine à la carte-Auswahl zu Verfügung, gibt es seit ein paar Jahren ausschliesslich ein Überraschungsmenü. Dies in 3 – 6 Gängen. Der Service empfiehlt uns, aufgrund der Portionsgrösse, die Variante in vier Gängen (148 Franken) – woran wir uns heute Abend halten.

Das spezielle im La Miranda: Jeder Gang wird von einem anderen Mitarbeiter aus dem Team serviert. Die Apéro-Häppchen (8/10) präsentiert der Chef höchstpersönlich. Bernd Fabian stellt eine Petitesse nach der anderen auf den Tisch und zeigt gleich zu Beginn, dass seine Brigade keinen Aufwand scheut. Auch geschmacklich überzeugt alles. Die Highlights sind das Macaron mit Saibling sowie Apfel und etwas fermentiertem Knoblauch aber auch der tolle Kartoffelchip mit Tatar und würziger Belper-Knolle. Ebenfalls begeistert das filigrane Randen-Röllchen mit ungestopfter Gänseleber und Passionsfrucht. Einzig der Tempura ist etwas überdimensioniert wodurch der Kaviar aus dem österreichischen Salzburg sich geschmacklich nicht vollends entfalten kann.

Schön, wenn man wie hier das Brot ins Zentrum stellt. Chef de Service Nina Menck präsentiert uns zuerst das hauseigene Sauerteigbrot mit etwas – typisch für die österreichischen Wurzeln des Chefs – Kümmel. Auch die im Innern noch heissen Laugenbrötchen begeistern uns. Dazu serviert man uns etwas Sprossen zum selber schneiden, sowie eine himmlische Butter mit etwas Erdnuss und einer perfekt eingebundenen Sardellen-Note – wow!

Weiter geht es mit einer Dashi (6/10). Im Innern des schönen Schälchens finden wir Shitake-Pilze in verschiedenen Zubereitungsformen. Die Einen wurden eingelegt und geben deshalb eine leichte Säure ab, die anderen sind dank dem Tempura-Teig schön knusprig und die Letzten offenbaren durchs kurze Anbraten einen tollen Umami-Kick. Daneben finden wir ein wachsweiches Eigelb und etwas Sushi-Reis. Am Tisch giesst Koch Thanaram Sarawut noch eine geschmackvolle Dashi ein. Es duftet und schmeckt wunderbar – auch dank der Koriander-Note, die beim Essen immer wieder aufblitzt.

Das optisch auffallendste Gericht mit Skrei, Sellerie und Chorizo (7/10) präsentiert Koch Michele D’Arienzo voller Stolz an unserem Tisch. In der Tellermitte erhebt sich ein schwarzes Fischskelett und daneben liegt ein dunkler Tentakel. Selbstverständlich handelt es sich in Wahrheit um ein knuspriges, mit Sepia-Tinte gefärbtes Gebäck sowie beim Tentakel um ein in Form gegossenes Knollenselleri-Mousse. Dass verspielte Optik oftmals zu Lasten des Geschmacks geht, haben wir leider schon zu oft erlebt, weshalb wir zu Beginn etwas skeptisch sind. Zum Glück ist diese völlig unbegründet, denn der Geschmack überzeugt bei jeder Komponente auf dem Teller. Die Kombination vom Fisch, mit der in der Salzkruste gebackenen Knollensellerie, dem Chorizo-Schaum und auch der dezent portionierten Pflaume ist sogar eine richtig eindrückliche Marriage. Das ergibt alles Sinn und schmeckt richtig stark.

Im Hauptgang zelebriert Bernd Fabian seine Leidenschaft für die Verarbeitung vom ganzen Tier und serviert uns eine Variation vom Kalb (8/10). Fabian bezieht das Tier von Bauer Chrstian Prinz aus Samnaun und bereitet für seine Restaurants verschiedene Gerichte zu. Heute Abend gibt es einen himmlisch glasierten Bauch mit traumhaft orientalischen Noten von Sternanis, Zimt und Nelke. Auch genial die Kalbsbacke an einer kraftvollen Sauce. Ebenfalls überzeugt das schmelzende Filet mit tollem Eigengeschmack – dazu kredenzt man uns noch ein geschmacksvolle Espuma vom Knochenmark. Als weitere Überraschung finden wir im Geschirr daneben Kartoffeln und darunter ein Stück Kalbsleber – welche, in Würfel geschnitten, noch besser aus dem engen Schälchen hätten gegessen werden können. Ein ausgezeichnetes Gericht, welches Sommelier Daniel Eisner mit dem Pinot Noir von Martha und Daniel Gantenbein vollendet.

Patissière Helene Tanzeglock serviert uns zum Abschluss ein angenehm leichtes aber sehr geschmackvolles Dessert mit Samnauner Joghurt, Vinschger Apfel und Vanille (8/10). Dabei wird das vollmundige und liebevolle Aroma von der Vanille perfekt mit der toller Säure kombiniert. Das schmeckt vom ersten bis zum letzten Bissen spannend und abwechslungsreich. Ebenfalls auf hohem Niveau sind danach die verspielten Friandises (7/10), die uns zum Espresso serviert werden.

Fazit: Absolut beeindrucken was Bernd Fabian und seine Brigade hier im Chasa Montana leisten. Das 18-köpfige Team kocht in den verschiedenen Restaurants pro Abend für bis zu 240 (!) Gäste und rockt dann noch ein Gourmet-Restaurant mit kreativen Gerichten. Dabei ist der sympathische Chef extrem relaxt. Der Erfolg beruht aber auf harter Arbeit. So scoutet Fabian nach guten Produzenten im Umkreis von zwei Autostunden und bezieht, wenn immer möglich das ganze Tier. Dieses wird dann aufwändig zerlegt und mit viel Passion zu Gerichten verarbeitet.

Das Chasa Montana mit seinen Restaurants und dem beeindruckenden Weinkeller (1’400 Positionen!) ist sowohl im Winter auch als im Sommer für Genussmenschen ein traumhafter Ort. Das La Miranda ist dabei das kulinarische Highlight im Dorf, in welchem sich auch nicht-Hotelgäste unbedingt einen Tisch reservieren müssen.

Bernd Fabian Küchenchef La Miranda in Samnaun
Executive Chef Bernd Fabian

Menü: Das Überraschungsmenü gibt es in 3 (128 Franken), 4 (148 Fr.), 5 (163 Fr.) und 6 Gängen (178 Fr.).

Weinbegleitung: Für die Weinbegleitung ist heute Abend der Hoteldirektor und diplomierter Sommelier Daniel Eisener persönlich zuständig. Er teilt die Aufgabe mit seinen beiden Mitarbeitenden Thomas Monsberger und Michaela Poliakov, welche ebenfalls diplomierte Sommeliers sind. Dabei können sie auf einen grossen und top sortierten Weinkeller zurückgreifen. Die Weinbegleitung hat keinen Fixpreis, sondern hängt von der jeweiligen Selektion ab. Die Tropfen richtet man hier mit viel Können und Bedacht auf die einzelnen Gerichte ab. Heute Abend wurde die Begleitung mit 65 Franken verrechnet:

Sancerre Terroir Silex 2021, Domaine Laporte, Loire, Frankreich (zur Dashi)
Chateaux Latour Martillac-Blanc 2018, Graves, Bordeaux, Frankreich (zum Skrei)
Pinot Noir 2016, Gantenbein, Fläsch, Graubünden, Schweiz (Kalb)
Beerenauslese 2018, Wolfgang Bäuerl, Wachau, Österreich (Dessert)

Online: hotelchasamontana.ch

Sommelier und Hotel Direktor Daniel Eisner

Wertung: Gourmör / Michelin / Gault-Millau

Sonderauszeichnung: Auszeichnung für eine tolle Weinbegleitung // Schöne Zigarren-Lounge vorhanden

(Besucht im Januar 2023)

Widder Restaurant in Zürich

Das Widder in der Altstadt von Zürich ist ein spezielles Hotel. Denn es besteht aus acht, ursprünglich unabhängigen, Gebäuden, die alle unter Denkmalschutz stehen. Während einem 10-jährigen Umbau, wurden diese geschickt miteinander verbunden und zu einem Hotel mit 49 Zimmern und Suiten umgebaut. Mitte der 90er Jahre eröffnete das 5-Sterne-Hotel seine Toren. Der Name stammt vom Haus, welches seit dem 15. Jahrhunder im Besitz der Metzger-Zunft Widder war.

Seit drei Jahren ist das Widder auch bei Gourmets ein Begriff. Besitzer Gratian Anda hatte nämlich keine Sekunde gezögert, als der 2-Sterne-Koch Stefan Heilemann nach dem Aus des Atlantis by Giardino Mitte 2020 auf einmal auf dem Markt verfügbar war. Mit Heilemann wechselten auch gleich weitere wichtige Personen aus der Brigade und Service an den Rennweg – so macht man Traum-Transfers! Seit Juni 2020 begrüsst also das neue Team seine Gäste – dies mit vollem Erfolg. Die Tische sind seit Beginn weg sehr begehrt und meist über Wochen komplett ausgebucht.

Wir checken an einem nassen Tag im Herbst im Hotel ein und flanieren am Nachmittag durch Zürich. Das Einzige was an diesem Tag strahlt sind unsere Gesichter, denn die Vorfreude auf den Abend ist riesig. Heilemanns Küche hat uns schon zwei Mal begeistert. Einmal im Ecco Zürich (zum Bericht) in der vorherigen Wirkungsstätte und einmal bei einem undokumentierten Dinner vor zwei Jahren am neuen Ort.

Kurz nach neunzehn Uhr betreten wir das mit 2-Michelin-Sternen ausgezeichnete Restaurant im zweiten Stock des Widders. Im vorderen Bereich befindet sich die offene Küche. Daneben der Chefs-Tabel, flankiert mit den top bestückten Wein-Schränken. Auf der anderen Seite gibt es zwei voneinander getrennte Speiseräume mit jeweils sieben Tischen. Es ist elegant-unkompliziert, die Stimmung sehr einladend und vielversprechend. Wir fühlen uns von Beginn weg sehr wohl. Dies liegt neben dem gepflegten Ambiente auch an den Gastgebern. Das kleine Service-Team macht einen super Job. Geführt wird es von Stefano Petta, einem sehr aufmerksamen Gastgeber und Sommelier.

Neben dem Menü in 6 Gängen (300 Franken) und einer Vegi-Variante steht auch eine spannende Supplement-Karte zur Verfügung. Darauf gibt es, je nach Saison, mal einen ganzen Steinbutt, Wildhase-Royal oder, so wie heute Abend, ein schottisches Moorhuhn. Die Auswahl ist extrem schwierig. Am liebsten würden wir uns einmal quer durch alle Optionen essen. Zum Glück ist man hier im Widder extrem flexibel. So modifizieren wir das Menü, wechseln das Simmentaler Rind gegen eine weitere Vorspeise aus und wählen von der Supplement-Karte das besagte Moorhuhn für den Hauptgang. Am Ende werden uns für diese Variante 340 Franken verrechnet.

Die erste Einstimmung (7/10) ist ein Heilemann-Klassiker. Die Buns eröffnen jedes Menü des 40-jährigen. Mal sind sie gefüllt mit Rind oder Schwein oder, wie heute, mit Ente. Die herzhaften Buns mit toller Koriander-Note und heissem Kern von Geschmortem sind genauso fein wie die beiden Petitessen- inklusive Entenhaut-Chip (!) – auf dem Teller. Mega auch das noch warme Brot mit feiner Butter und dem herzhaften Aufstrich.

Das zweite Amuse zeigt die eher unbekannte, leise Seite von Heilemanns Küche. Im Zentrum sind drei rohe Gamba Blanca aus Portugal (7/10) darüber deren Rogen, die bei genauem Betrachten königlich blau schimmern. Das Gericht ist crémig, knusprig und hat eine leichte Bitternote. Der Dill und die Gurken sorgen für einen erfrischenden, letzten Gruss des Sommers.

Im ersten Gang des eigentlichen Menüs serviert uns die Brigade Balfegó Thunfisch & Seeigel aus Island (8/10). Es ist optisch ein wunderschönes Gericht. Geschmacklich ist es extrem facettenreich – je nachdem wie man den Löffel mit den Köstlichkeiten kombiniert, entsteht ein anderes Geschmacksbild. Mal elegant (Toro und Kaviar) mal intensiv-wuchtig durch den Seeigel. Überraschend ist auch der gelungene Einsatz von der süss-sauren Passionsfrucht, welche gekonnt eingebettet ist und das Gericht bereichert. So bringt jeder „Tauchgang“ in den Teller viel Geschmack an die Oberfläche. Die gelben Chips auf dem Foto? Süchtig machende Süss-Saure Süsskartoffel-Chips!

Nun geht es mit richtig viel Power weiter. Der Langoustino (9/10) wird noch am Tisch mit etwas Kaffir-Limette verfeinert. Am ganzen Tisch duftet es traumhaft nach der Zitrusfrucht. Wir tauchen den Löffel in die gelbe Thai-Curry und werden von einem betörenden Elixier überrascht. Trotz der Power kann auch der hochwertige Langoustino seinen tollen Eigengeschmack entfalten. Um die Brücke zur Reginalität zu schlagen, setzt Heilemann auf Kürbis anstelle der in Asien traditionellen Papaya. Zusammen mit den Kürbiskernöl und den texturgebenden Erdnüssen ist dies ein grossartiger Teller mit extrem viel Wohlgeschmack und grossem Spassfaktor. Mega!

Der Gamba Carabinero (9/10) macht genau auf dem Niveau weiter. Wiederum gibt es die erste sensorische Begeisterung für die Nase. Unglaublich wie das alles duftet! Es riecht nach Meer, nach Zitrone, Estragon und Knoblauch – Letzteres ohne auftringlich zu sein. Alles ist exakt ausbalanciert und abgeschmeckt. Der edle Gamba ist perfekt gebraten und unglaublich im Geschmack. Das hier macht alles wiederum so unglaublichen viel Spass. Auch der letzte Tropfen der Sauce und das letzte Stück der à part servierten Knoblauch-Brötchen geniessen wir mit geschlossenen Augen

Die Algarve Rotbarbe & Tintenfisch (9/10) ist ein weiteres Highlight dieses aufwühlenden Menüs. Den tollen Fisch mit Blutwurst zu kombinieren ist mutig aber keinesfalls eine Effekthascherei. Denn Heilemann schafft auch aus dieser unorthodoxen Kombination etwas hervorragendes. Die Rotbarbe von bester Qualität ist perfekt gegart und traumhaft intensiv im Geschmack. Die Blutwurst ergänzt das Geschmacksbild um eine leicht animalische, rustikale Note – ohne sich unnötig in den Vordergrund zu stellen. Abgerundet wird das Gericht mit einer himmlischen Fenchel-Beurre Blanc.

In Hauptgang wird uns dann eines der besten Gerichte überhaupt serviert: Das schottische Moorhuhn (10/10). Vor dem Tellerservice wird uns das Produkt am Tisch präsentiert. Schon optisch lässt sich das aufwändige Handwerk erahnen. Das Tier, von bester Qualität, stammt vom passionierten Flügelhändler Alfred von Escher. Die Brust des Vogels wird gepöckelt, mit einer Entenleber sowie einer Farce vereint und mit Pilzschuppen eingefasst. Der Rest – auch das Herz – werden zu einer Sauce verkocht. Unglaublich wie das duftet – und wie das schmeckt! Die Kombination von der zarten Brust, der würzigen Farce, der nussigen Entenleber und der meisterhfaten Sauce ist einfach nur genial und atemberaubend! Ein absolut meisterhaftes und unvergessliches Gericht, dass Sommelier Stefano Petta noch aufzuwerten weiss, indem er uns ein Glas von einem jungen aber bereits genialen Grenache aus dem Hause Sine Qua Non serviert.

Für Patissiers ist es nach so einem ausgezeichneten Menü schwer eigene Akzente zu setzen. André Siedl stellt sich der Herausforderung und steuert im regulären 6-Gänge-Menü mit den beiden Desserts einen Drittel des Menüs bei. Beim ersten Dessert verwendet er Honig aus „Terreni Alla Maggio“ (9/10), dem Tessiner Partnerbetrieb. Der Geschmack nach dem süssen Gold ist perfekt eingebunden und wird von einer schönen Säurenote begleitet. Auch der Ingwer steuert eine spannende Komponente bei und sorgt so für ein grossartiges Geschmacksbild. Das schmeckt alles frisch und leicht – und macht grossen Spass. Auch beim zweiten Dessert von den Bühler Zwetschgen (8/10) schafft Siedl eine tolle Symbiose die mit der perfekten Konsistenz und tollen Aromen begeistert.

Natürlich dürfen die feinen Frindises (8/10) zum Espresse nicht fehlen. Hier überzeugen uns vor allem die tolle Cremeschnitte mit Sauerkirsche aber auch das klassische und perfekt gebackene Canelés.

Fazit: Stefan Heilemann ist einer der besten Köche der Schweiz. Er ist ein Handwerker, jemand der tolle Produkte liebt und sie auch respektvoll verarbeitet. Was er und sein Team im Widder Restaurant machen ist spitzenmässig und verdient grossen Applaus. Dies auch weil er einer der wenigen jungen Chefs ist, die neben der modernen, auch die klassische Küche beherrschen und diese auf allerhöchstem Niveau zelebrieren. Dabei setzt er konsequent auf die besten Grundprodukte und investiert tagelange Arbeit. Heilemann kann aber auch modern, denn auch mit seiner asiatisch inspirierten Küche begeistert er uns immer wieder aufs Neue. Bei ihm hat alles Power und viel Geschmack. Ein Abend im Widder macht riesigen Spass, auch dank dem tollen Team an der Front. Übrigens: die Idee mit der Supplement-Karte ist richtig genial. Damit lässt sich auch das eher kurze Menü ganz einfach erweitern. Wir können den nächsten Besuch am Rennweg kaum abwarten.

Die Brigade (v.l.n.r.): André Siedl, David Span, Lukas Witschi, Moritz Stocker, Stefan Heilemann, Fernando Lourido und Philipp Keliny (Benjamin Anderegg fehlt auf dem Foto)

Weinbegleitung: Stefano Petta begleitet das hervorragende Menü mit grandiosen Weinen und schafft unvergessliche Marriagen. Folgende Weinbegleitung wurde uns für 200 Franken serviert:

Crand’Cour Blanc / Jean-Pierre pellegrin / Genf / Schweiz / 2020 zum Balfegó Thunfisch
Hermansberg GG / Weingut Gut Hermansberg / Nahe / Deutschland / 2018 zum Langoustino
Friulano Riserva / Renato Keber / Friaul / Italien / 2014 zum Gamba Carabinero
Grain Ermitage „Président Troillet“ / Marie-Thérèse Chappaz / Wallis / Schweiz / 2019 zur Rotbarbe
Distenta I / Sine Qua Non / Kalifornien / USA / 2019 zum Moorhuhn
Rielsing Auslese Bernkasteler Doctor / Wwe. Dr. H. Thanisch / Mosel / Deutschland / 2020 zum Dessert „Honig“
Grain Noble Arvine / Marie-Thérèse Chappaz / Wallis / Schweiz / 2019 zum Dessert „Zwetschgen“

Website: https://www.widderhotel.com/

Wertung: Gourmör // Michelin // Gault-Millau

Sonderauszeichnung: Hier fühlt man sich besonders wohl // Auszeichnung für eine geniale Weinbegleitung


(Besucht im Oktober 2022)