Memories in Bad Ragaz

Sven Wassmer war im Park Hotel Vitznau die rechte Hand von Nenad Mlinarevic als dieser vom Gault-Millau im Jahr 2015 zum „Koch des Jahres“ ausgezeichnet wurde. Sven wurde von seinem Chef in den höchsten Tönen gelobt. Dies blieb auch dem Bündner Investor Remo Stoffel nicht verborgen. So hatte Wassmer eines Tages einen Anruf aus Vals mit dem Angebot das Restaurant Silver im Hotel 7132 zu übernehmen. Sven Wassmer hatte sein Ziel, nämlich Vals und das Hotel 7132 auf die kulinarische Landkarte zu kochen, rasch erreicht. Bereits im ersten Jahr gab es einen Stern und 17 Punkte. Ein Jahr später holte der Fricktaler den 2. Stern ins abgelegene Bündner Dorf. Leider war das Ende in Vals weniger schön. Für Aussenstehende völlig überraschend verliess Wassmer das 7132 bereits nach drei Jahren völlig abrupt.

 

Es war klar, dass ein solch grosses Talent nicht lange auf ein Jobangebot warten muss. Das weltklasse Grand Resort Bad Ragaz hat dem Chef das beste Angebot gemacht und ihm ein eigenes Restaurant angeboten, welches er von Grund auf mitgestalten durfte. Das Luxushotel im Sankt Gallischen Bad Ragaz hat dabei keine Kosten und Mühen gescheut um Svens Wassmer einen würdigen Rahmen zu bieten. Ein wunderschöner Parkett, edle Lampen, grosse Tische die mit viel Abstand zueinander stehen und durch die Holzlamellen Intimität ausstrahlen. Das Highlight des Restaurants ist die offene Küche. Showküchen mag man schon gesehen haben, aber eine Küche mitten im Restaurant ist etwas Besonderes. Die Küche ist dabei so ausgerichtet, dass man von allen Tischen einen Blick auf die einzelnen Köche hat. Wer Sorgen hat, dass dies stört können wir beruhigen: das Licht in der Küche ist dedämpft und die Lautstärke tief.

Im Sommer 2019 war die Eröffnung. Wir waren glücklich, dass man nun Sven Wassmers Küche wieder erleben kann, denn an den Besuch in Vals hatten wir unzählige schöne Erinnerungen. Die Ameisen, der fantastische Saibling, die Melone aus der Schweiz mit richtig viel Geschmack, die Waffel mit Kaviar und vielen Sachen, die wir zuvor noch in keinem Restaurant angetroffen hatten – oder wo hatten wir zuvor einen selbst gereiften Negroni?

Erinnerungen schaffen ist auch das Motto im neuen Restaurant in Bad Ragaz. So trägt es auch den vielversprechenden Namen Memories. Für Schweizer Verhältnisse ungewohnt selbstsicher hat Sven auch sein Ziel, den 3. Michelin-Stern, definiert. Selbstsicher ist auch der Preis: mit 330 Franken ruft man den dritthöchsten Menüpreis in der Schweiz auf (nur das mit 3 Sternen ausgezeichnete Restaurant de l’Hôtel de Ville in Crissier und das Denis Martin in Vevey verlangen mehr).

Das Memories befindet sich im umgebauten Quellenhof. Dort befindet sich mit dem verve by sven auch Svens Zweitrestaurant in dem neben dem Zmittag und Znacht auch das Frühstück serviert wird. Wir gehen am gestylten Restaurant vorbei und laufen den Gang in Richtung Kronenhof. Hier ist der etwas versteckte, aber sehr auffällige designte Eingang des Memories. Fünf Mal die Woche (wegen Corona aktuell nur von Donnerstag bis Samstag) geht um Punkt 19 Uhr die Türen auf. Einen Mittagsservice gibt es nicht. Beim Betreten des Restaurants wandert unser Blick zuerst auf den schicken Weinschrank. Hier liegen die Schätze von Svens Ehefrau Amanda Wassmer Bulgin. Sie ist Weindirektorin des Hauses und Sommelière im Memories. Als wir an den Tisch geführt werden, ist es auch sie, die uns vom Apéro-Wagen eine Auswahl an Champagner anbietet. Von ihr erhalten wir auch die stylische Holzschatulle. Die ca. 850 Weinpositionen sind auf sechs handliche Wein-Karten verteilt. Dem Schweizer Wein ist ein eigenes Buch gewidmet. Darin findet man selbstverständlich vorwiegend Tropfen aus der Bündner Herrschaft, welche das Hotel umgibt.

Da es lediglich ein Überraschungsmenü gibt, ist die Wahl des Menüs einfach. Lediglich den Umfang (12, 9 oder 6 Gänge) kann man wählen. Wir entscheiden uns für das grosse Menü und bestellen dazu die Weinbegleitung.

Wie schon in Vals, startet der Abend bei Sven Wassmer mit Fingerfood-Snacks, die in verschiedenen Wellen serviert werden. Los geht es mit …

Bergkäsecreme / Löwenzahnhonig (10/10)

Wir widmen uns zuerst dem runden Taler aus Mürbteig und riechen daran. Der Duft von Haselnüssen ist traumhaft. Im Gaumen vermengt sich die Nuss mit einem unglaublich wohlschmeckenden Käse-Aroma vom 36-monate gereifter Zentralschweizer Alp-Sbrinz. Dazu noch eine leichte Süsse vom Löwenzahn-Honig. Welch phänomenale Kombination!

 

Topinambur / geröstete Hefe / geräuchertes Rinderherz (9/10)

Das zweite Häppchen begeistert uns ebenfalls. Das knusprige Sandwich aus gebackenem Topinambur offenbart einen wohligen und intensiven Geschmack nach Topinambur. Dazu gesellt sich ein animalischer Geschmack vom geräucherten Rinderherz. Die Petitesse hallt noch Minuten später nach. Eindrücklich!

 

 

Randen / Schwarze Johannisbeeren (10/10)

Weltklasse auch der dritte Snack. Eine geräucherte Rande, gefüllt mit Frischkäse. Die Kombination ist klassisch. Sven legt noch einen drauf und gibt etwas Meerrettich dazu. Für die Säure sorgt der Lack von der schwarzen Johanisbeere. Das Harmonische, gepaart mit der Rassigkeit und der perfekten Säure sorgt für ein komplexes, unvergessliches Geschmacksbild.

 

 

Buchweizen / Sauerampfer (10/10)

Und auch der letzte Happen spielt auf allerhöchstem Niveau und gehört zu den besten Snacks die uns jemals serviert wurden. Die Kombination vom etwas erdigen Buchweizen und dem süssen Karamell gepaart mit der wundervollen Säure von Sauerklee und Sauerampfer ist grandios. Wir sitzen sprachlos am Tisch und schauen ungläubig in die Küche rüber aus der diese imposanten Geschmackskombinationen gerade kamen. Dort arbeitet die Brigade voll konzentriert an den nächsten Gerichten.

 

Sauerteigbrot

Auf das Sauerteigbrot ist man mächtig stolz. Das Ergebnis der aufwändigen Handarbeit präsentiert man deshalb am Tisch. Danach serviert man uns davon ein paar Tranchen sowie eine Butter aus dem 15 Minuten entfernten Grabs. Das Brot duftet und schmeckt absolut phänomenal. In Kombination mit der Butter ist es ein wahrer Traum und besser als so manches Abendessen.

 

Zwiebel-Brotsuppe / Steinpilz / Trockenfleisch (7/10)

Auch beim ersten Gericht des eigentlichen Menüs kommt das Sauerteigbrot zu seinem Einsatz. Es bildet die Basis von diesem nach Zwiebeln wohlduftende Gericht. Die Zwiebel und fast alles andere aus der Erde bezieht Sven von seinem Hofliferanten Marcel Foffa, einem leidenschaftlichen Bio-Bauer. Über Nacht wurde die Zwiebel mit dem Sauerteigbrot und Wasser bei 95 Grad ziehen gelassen. Das Resultat ist dieses heiss servierte Gericht, welches hervorragend zu den kleinen Dumplings passt. Diese sind mit verschiedenen Pilzen gefüllt. Die Kombination von Pilz und dem perfekt darauf abgestimmten Zwiebel-Aroma ist äusserst delikat. Geschmacklich ist dieses Gericht aber eher in der Kategorie Soul-Food einzuordnen, weshalb wir, im Gegensatz zum Menüauftakt, die Raffinesse vermissen.

 

Saibling aus dem Val Lumnezia / Gebrannter Sennenrahm / Tanne (10/10)

Weiter geht es mit einem Signature Dish von Sven Wassmer. Wir kamen bereits in Vals in den Genuss dieses genialen Gerichts und hofften deshalb insgeheim, dass der Saibling aus dem Val Lumnezia heute nochmals seinen Auftritt hat. Der mit Heu und Tanne geräucherte Fisch ist glasig gegart und duftet himmlisch nach einem Nadelwald kurz nach einem intensiven Sommergewitter. Die Sauce besteht aus Rahm die so stark einreduziert wurde, dass sich das Fett von der Molke trennte. Die Molke wurde dann karamellisiert und wieder mit dem Fett, Milch und Rahm vermengt. Dadurch hat das Gericht auch diese dezente, aber fantastische Süsse. Kurz vor dem Service wird etwas Tannenöl in die Sauce geträufelt. Das Resultat ist grandios. Es schmeckt rauchig, wie an einem Lagerfeuer inmitten eines dichten Waldes. Dieses Bild taucht vor unseren Augen auf, während wir Bissen für Bissen geniessen, ohne auch nur ein Wort zu sprechen.

 

Rettich / Reismilch (9/10)

Nun wir uns ein südkoreanisch inspiriertes Gericht serviert. Der Daikonrettich wird in dem asiatichen Land sehr oft in der Küche verwendet. Er hat ein milderes Aroma als der Rettich den wir bei uns kennen, deshalb eignet er sich gut für ein schön balanciertes Gericht wie dieses. Die Basis bildet ein Reismilch-Sud, der mit Shirodashi abgeschmeckt ist. Das Gericht duftet nicht nur stark nach Asien (toll der Koriander), sondern bringt auch alle Vorzüge, die wir an dieser Küche lieben in den Vordergrund. Stark wie Sven wiederum die Säure integriert und mit den unterschiedlichen Konsistenzen arbeitet. Ein absolut harmonisches und geschmacksintensives Erlebnis das uns völlig beeindruckt.

 

Zander aus dem Lago Maggiore / Salzzitrone / fermentierte Topinambur (8/10)

Stolze 8 Kilogramm schwer war der Zander als er heute Morgen aus dem Tessin angeliefert wurde – ein Wildfang aus dem Lago Maggiore. Sven brät den Fisch mit Butter in der schönen Messing-Bratpfanne. Der Zander ist saftig und hat ein sehr schönes Eigenaroma. Dazu serviert man uns eine etwas andere Beurre Blanc bei der man auf fermentierte Topinambur zurückgreift. Dieser ist sehr markant und sorgt für ein grandioses Geschmacksbild. Schön auch das Zitronenaroma, obwohl es etwas dezenter eingesetzt, mehr zur Eleganz dieses Gerichts beisteuern würde.

 

Sven’s Raclatte / „Corne de Gatte“ / Périgord Trüffel (8/10)

Jetzt wird es innovativ. Es war schon lange Svens Wunsch ein Raclette zu servieren. In einem solchen Menü wäre ein klassisches Raclette zu schwer. Deshalb hat er nach einer anderen Variante geforscht. Zuerst hat er die perfekte Kartoffel gesucht und ist bei der belgischen Sorte „Corne de Gatte“ fündig geworden. Dies wegen der leicht wachsigen Konsistenz und dem nussig-buttrigem Eigenaroma. Beim Käse entschied sich Sven nach langem ausprobieren für einen 18 Monate alten Gruyère und einen 48 Monate alten Sbrinz – den Letzten der noch auf einer Alp in der Innerschweiz hergestellt wird. Die beiden Käsesorten werden im Wasser geschmolzen und danach gemixt damit sich alle Geschmacksstoffe lösen. Danach wird das ganze passiert und à la minute mit Kuzu – einem ursprünglich aus Asien stammenden Bindemittel gebunden. Das Kuzu gibt dem Käsewasser eine extrem sämige und glänzende Konsistenz. Dadurch hat man sozusagen den geschmolzenen Käse, allerdings ohne das ganze Fett. Darüber wird Périgord Trüffel gehobelt. Von uns gibt es grossen Applaus, zum einen wegen dem genialen Geschmack zum anderen für die Kreativität und Passion die Sven mit diesem Gericht demonstriert.

 

Knuspriger Schweineschwanz / Schweizer Mole / Schlossere Meerrettich (9/10)

Das nächste Gericht strotzt vor Geschmack. Ein animalischer Goût, knusprige Textur und eine perfekte Säure sorgen für grosse Begeisterung. Die Schweineschwänze stammen vom Schweizer Edelschwein. Das Fleisch ist butterzart und äusserst geschmacksvoll. Der gehobelte Meerrettich ist von einer Pro Specia Rara-Sorte und hat eine angenehme Schärfe. Die Sauce sorgt mit seiner Säure für den zusätzlichen Kick. Dazu wurde der Saft, der die Schweineschwänze beim Garen verlieren, mit etwas gegrilltem Sauerkrautsaft vermischt. Etwas Schnittlauchöl und Zwiebeln sorgen für den Rest, um daraus ein hervorragendes Gericht zu machen. Der dazu gereichte Cider von Ruch & Oswald ist der perfekte Begleiter.

Ein Blick in die Küche zeigt eine konzentrierte Brigade beim Anrichten der Hauptgänge. Langsam nähern wir uns dem Finale.

 

Bündner Reh / Winterkohl (7/10)

Vor ein paar Minuten duftete es im Restaurant auf einmal himmlisch nach Kohle. Der Rehrücken aus der Schweizer Jagd wurde darauf angebraten. Das Fleisch ist zwar etwas zu wenig warm und wir vermissen die Röstaromen, dafür hat das Reh einen super Eigengeschmack. Hervorragend intensiv schmeckt die Kohlschnitte aus Kohl und Federkohlpüree sowie der wundervolle Rotkohl-Jus.

 

Königstaube aus der Bresse / Knollensellerie von Marcels Feldern / Herbstlaub (9/10)

Die Königstaube bringt das Menü sofort wieder aufs ganz hohe Niveau. Die Taubenbrust aus der Bresse schmeckt grossartig und ist perfekt gegart. Das Gericht läuft in Kombination mit dem Knollensellerie, den eingelegten Pilzen und der Nusspaste zur Höchstform auf. Das essbare Laub wird aus Selleriesaft und fermentiertem Steinpilzsaft hergestellt. Ein grossartiger Abschluss der salzigen Gerichte.

 

Andeerer Säumer Chäs von Floh

Im Mittelpunkt ein Stück von Martin „Floh“ Bienerth aus dem Bündner Andeer. Perfekt gereift und lediglich begleitet von etwas Gurke, Nussbrot und süssem Senf. So reduziert und grossartig kann ein Käseteller schmecken.

 

 

Johannsibeere vom Hof Räss

Nun kommt ein Fässchen auf den Tisch, welches wir noch aus Vals in bester Erinnerung haben. Darin reift ein eigener Negroni. Die bitteren Aromen passen perfekt zum Johannisbeeren-Eis, das uns zur Erfrischung gereicht wird.

 

Rohe Pastinake / Kaffeesatz (9/10)

Sven Wassmer hat für seine Desserts mit Andy Vorbusch einen Spitzenpâtissier an Bord geholt. Der 43-jährige war viele Jahre Pâtissier im 3-Sterne-Restaurant Vendôme in Bergisch Gladbach bei Köln. Er war einer der Ersten, der in seinen Desserts mit Gemüse arbeitete so zum Menüende ganz neue Geschmackswelten kreierte. Heute Abend stehen Pastinaken und Kaffeesatz (!) im Zentrum des ersten Desserts. Pastinaken als Schaum und als knusprige Scheiben, aus dem Kaffeesatz hat er einen Kombucha gemacht und daraus das Glace. Wir sind grosse Fans von solch kreativen Desserts vor allem wenn sie so genial und trotzdem ungewohnt schmecken wie hier.

 

Geröstetes Reiseis aus Tessiner Korn / Domleschger Melon (9/10)

Auch das zweite Dessert ist ein Volltreffer und offenbart uns ganz neue Geschmackskombinationen. Im Zentrum stehen Melonen die Hoflieferant Marcel für Sven anbaut. Wie genial diese schmecken hat uns Sven in Vals demonstriert. Die diesjährige Ernte war leider etwas schwächer. Aus diesem Grund hat man die Melonen getrocknet um trotzdem ohne Zusatz von Zucker eine schöne Süsse hinzubekommen. Für Sven und Andy sind die Früchte so wertvoll, dass sie diese komplett verarbeiten. Aus den Kernen gibt es ein Praliné, die Abschnitte werden zu einem Sugo verarbeitet, welcher dann später für das gefrorene Merengue benutzt wird. Dieses liegt als wunderschöner Taler mit Blüten-Emblem über dem Teller. Darunter finden wir die getrockneten Melonen-Stücke und ein Glace aus Tessiner Reis. Das schmeckt alles neu, intensiv, anders und ist wiederum erinnerungswürdig.

 

Friandises (8/10)

Die Friandises sind vielleicht einen Tick zu herausfordernd für den Menüabschluss. Aber sie zeugen von bestem Handwerk und sind geschmacklich top. Dazu serviert man uns einen richtig guten Espresso.

 

 

 

Fazit: Sven Wassmer zelebriert seine Alpine Küche und zeigt was die Regionen des Alpenraums zu bieten haben. Dabei läuft er weiter zur Höchstform auf. Seine Energie und Leidenschaft schmeckt der Gast bei jedem Gericht. Dabei wird kein Aufwand gescheut. Sven sucht die besten Lieferanten und unterstützt sie bei deren Passion. Mit ihren Produkten arbeitet er unermüdlich um das Beste heraus zu holen. Dabei hat er ein Top-Team um sich gescharrt das ihm beim Erfüllen seiner Träume unterstützt. Das Memories-Team hat sein Ziel erreicht und uns an diesem Abend Erinnerungen geschenkt. Schon alleine das Restaurant mit seiner integrierten Küche ist ein geniales Erlebnis und etwas, dass man nie vergisst. Man hat das Gefühl, dass man bei Freunden im Wohnzimmer sitzt während in der Küche gezaubert wird. Auch im Service ist die Leidenschaft zu spüren. Das Team ist motiviert und Amanda unterstreicht die Gerichte mit ihrer Getränkebegleitung perfekt. Das Menü war von Anfang bis Ende auf höchstem Niveau. Für uns zählt Sven Wassmer zu den besten Chefs der Schweiz und ist einer mit Potential für den 3. Stern. Einige der Gerichte waren heute Abend bereits auf diesem Niveau.

Chef Sven Wassmer

 

Speisekarte: Es wird ein Überraschungsmenü angeboten. 12-Gänge kosten 330 Franken, 9-Gänge 260 Franken und 6 Gänge 195 Franken.

 

Wein: Beim Wein darf man sich unüberlegt in die Hände von Svens Frau Amanda begeben. Die Sommelière hat es schon in Vals verstanden, mit dem richtigen Wein die Gerichte zu bereichern. Sie serviert eine Getränkebegleitung die sich auf Weine fokussiert aber punktuell auch anderen Getränken Platz macht. Zum Beispiel einem Bier oder einem selbst gemachten Saft. Preislich bewegt sich die Weinbegleitung bei ca. 135 Franken. Fans von Flaschenweinen finden auf den 6 Weinkarten über 850 Positionen.

Adorado de Menade / Rueda / Spanien zur Zwiebelbrotsuppe
Chardonnay / Christian Hermann / Fläsch / Schweiz / 2015 zum Saibling
Viognier / Möhr-Niggli / Maienfeld / Schweiz / 2017 zum Rettich
Chardonnay Hyde Vineyards / Rames / Nappa Valley / USA / 2015 zum Zander
Compléter Réserve / Boner / Malans / Schweiz / 2011 zum Raclette
Cider / Ruch & Oswald / Klettgau / Schweiz / 2018 zum Schweineschwanz
Sota els Angels tinto / Emporda / Spanien / 2008 zum Reh
Réserve de la Comtesse / Château Pichon Comtesse de Lalande / Pauillac / Frankreich / 1996 zur Taube
Gewürztraminer / Weingut Fromm / Malans / Schweiz / 2013 zum Käse
Fassgereifter Negroni aus grünen Oliven zur Hohannisbeere
Vauvray Reserve d’Automne / Domaine d’Orfeuilles / Vouvray / Frankreich / 2015 zur Pastinake
Vintage Sour Beer mit Himbeeren / Brauerei Locher / Appenzell / Schweiz zum Reiseis

 

Das Memories-Team

Zeit: Das Dinner dauerte 4 ½ Stunden

Online: memories.ch

 

Wertung: Gourmör / Michelin / Gault-Millau

Sonderauszeichnung: Hier fühlt man sich besonders wohl / Schöne Zigarren-Lounge vorhanden/  Auszeichnung für eine geniale Weinbegleitung

(Besucht im Dezember 2019)

The Restaurant in Zürich

Seit 12 Jahren prägt Heiko Nieder das The Dolder Grand in Zürich. Er ist das kulinarische Aushängeschild des Luxushotels. Vor zwei Jahren feierte Nieder sein 10-jähriges Jubiläum und wurde zum Jahresende vom Gault-Millau als „Koch des Jahres“ geehrt und in den Kreis der 19-Punkte-Chefs aufgenommen. Wir besuchen sein The Restaurant an einem schönen Herbsttag. Das Hotel ist imposant wie immer. Die wunderschöne Kunst, das unverwechselbare Ambiente und die aufmerksamen Mitarbeiter beeindrucken uns immer wieder aufs Neue.

Kurz nach halb acht stehen wir beim Eingang des edlen Restaurants. Hier hängt eines der schönsten Gemälde im Haus, es ist das „Femmes métamorphosées – Les sept arts“ vom spanischen Künstler Salvador Dalí. Gleich dahinter befindet sich der markante, gelb leuchtende Wein-Kubus, der das Restaurant seit seiner Eröffnung prägt. Heute Abend ist das Restaurant bis auf den letzten Platz besetzt. Die Stimmung ist super. An den Tischen wird gelacht, geschwatzt und vor allem genossen. Wir werden von einer jungen Mitarbeiterin freundlich begrüsst und an unseren Tisch ganz hinten im Restaurant geführt. Durch das grosse Fenster sieht man von hier den Zürichsee, der die letzten Sonnenstrahlen des Tages absorbiert. Wir schätzen diesen Tisch aber nicht nur wegen der Aussicht, sondern auch weil er, anders als viele andere Tische im Restaurant, unter dem Tischtuch keine Lampe hat. Ein Gimmick, dass uns noch nie gefallen hat, da dieses von den schön arrangierten Tellern ablenkt. Wir würden entsprechend jedes Mal wieder nach diesem Tisch fragen. Nun sitzen wir hier, voller Vorfreude. Das letzte Mahl zählt zu unseren besten Essen und liegt entsprechend viel zu weit in der Vergangenheit.

Auf der gereichten Speisekarte finden wir zwei Menüs. Einmal ein vegetarisches und einmal eines mit Fisch und Fleisch in 7 oder 10 Gängen. Für Letzteres entscheiden wir uns dann auch. Die Weinbegleitungen im The Restaurant gehören zu den besten die wir kennen. Um die passenden Weine zu suchen wird kein Aufwand gescheut. Bei jedem Menüwechsel wird der Weinkeller durchforstet und degustiert bis die optimale Kombination gefunden wird. Heute haben wir leider Pech. Der Menüwechsel ist noch nicht vollständig vollzogen, weshalb die aufwändige Probe noch nicht durchgeführt wurde und die Weinbegleitung deshalb noch nicht steht. Sommelière Lisa Bader bemerkt unsere Enttäuschung und verspricht uns ihr Bestes zu geben, um das Menü optimal zu begleiten – zum Glück wird sie Recht behalten.

 

Apéro-Häppchen (8/10)

Wie gewohnt zündet Heiko Nieder gleich zu Beginn ein Häppchen-Feuerwerk. Dies gibt einen verspielten Einblick in sein aktuelles Schaffen. Die Häppchen demonstrieren, dass sich der Chef nicht nur in Frankreich, sondern auch in der asiatischen Küche heimisch fühlt. Beweisen tut er dies mit einem Dampfbrot mit Ingwer, Rande und Zitronengras – wäre es warm serviert worden, wäre unsere Begeisterung sogar noch grösser gewesen. Weiter finden wir auf dem Tisch knusprige Pommes Soufflé mit Trüffel-Crème. Daneben ein an einen 1. August-Böller erinnernde Urkräuterkäse-Stange mit Kürbiskernöl. Die Highlights sind aber die Senfgurke mit Dill und Melone (!) sowie das Brioche mit Eigelb, Herbst-Trüffel und Schnittlauch. So darf es gerne weitergehen!

 

Sonnenblumenkern-Vollkornbrot

Als nächstes serviert man uns das hausgemachte, leider nicht mehr warme, Sonnenblumenkern-Vollkornbrot mit zwei fantastischen Butter-Sorten. Zum einen eine getrüffelte Butter daneben eine Gaumen-herausfordernde aber extrem spannende Gewürz-Butter. Wir würden am liebsten das ganze Brot verschlingen. Doch mit Blick an den Nachbartisch wissen wir, dass später noch weitere Brotsorten gereicht werden. Es gibt definitiv einfacheres, als dieser Versuchung zu widerstehen.

 

Amuse Bouche: Mango mit Sardelle (10/10)

Der kleine Happen ist voller Power und sehr mutig arrangiert. Kaum im Mund entfalten sich intensive Gewürz-Aromen als würde man einen ganzen Marktstand voller Gewürze verschlingen. Gepaart werden die kräftigen Geschmäcker mit einem süss-sauren Zusammenspiel von Mango und Passionsfrucht, die wiederum von der salzigen Sardelle kontrastiert werden. Das Geschmacksbild ist extrem faszinierend und langanhaltend. Etwas vom Unerwartetsten was uns seit langem serviert wurde.

 

Amuse Bouche: Gillardeau-Auster (8/10)

Weiter geht es mit einer leicht pochierten Gillardeau-Auster. Die ge­schmacks­in­ten­sive Muschel wird mit Wasabi und Apfel kombiniert. Den Apfel finden wir auch im wundervollen Apfel-Molken-Sud. Die Kombination zwischen dem jodig-meerigen Aroma und dem scharf-sauren Zusammenspiel schmeckt ausgezeichnet.

 

Hummer aus der Bretagne (9/10)

Das eigentliche Menü startet mit einem weiteren Highlight. Der Hummer von Top-Qualität gehört zu den besten die uns jemals serviert wurden. Die Kombination mit den floralen Noten (Anis-Blüten!) und der perfekt eingebundenen Süsse von der Vanille, sowie der harmonischen Säure von den Zitrusfrüchten sorgen für eine perfekt erfrischende Symphonie. Extrem beeindruckend.

 

Brot

Apropos beeindruckend: Nun wird uns die Brotauswahl präsentiert – einer der besten im ganzen Land! Den Laugen-Plunder und das Kümmel-Käse-Spitz haben wir seit dem letzten Besuch schon schmerzlich vermisst. Sie schmecken noch himmlischer als wir sie in Erinnerungen hatten. Hätten wir gewusst, dass man mit dem Brot nur einmal am Tisch vorbeikommt, hätten wir von jeder Sorte gleich zwei auf unsere Brotteller gelegt.

 

Getauchte Jakobsmuschel aus Norwegen (7/10)

Der süss-saure Sud aus Sanddorn, Kokosnuss und Passionsfrucht ist phänomenal! Leider kann sich die grosse Jakobsmuschel nicht gleichermassen in Szene setzen. Denn ihren typischen Geschmack vermag sie gegen den dominanten Sud nur begrenzt ausspielen. Deshalb fehlt dem Gericht der wichtige Kontrast. Schade, mit der perfekten Dosierung könnte dies ein richtig geniales Gericht sein.

 

Geangelter Saint Pierre aus der Bretagne (9/10)

Gleich wieder aufwärts geht es mit dem Saint-Pierre. Am Tisch wird uns eine grossartige Sauce aufgegossen. Der Duft nach Sauerkraut verbreitet sich sofort – genial. Der Fisch ist perfekt gegart und hat einen wundervollen Eigengeschmack und ein sattes Fleisch. Perfekt ergänzend auch die Kapern und ein Hauch von Zitrone. Dazu gesellt sich eine spannende Schärfe ohne, dass diese vom saftigen Fisch und der tollen Säure in der Sauce ablenkt.

 

Kaviari-Kaviar und Meeresfrüchte (9/10)

Mit dem Thema Meer geht es auf beeindruckende Art weiter. Im Teller finden wir einige Schätze aus dem azurblauen Gewässer. Königskrabbe, Stabmuschel, Seeigel, Algen und delikaten Kaviar. Es wäre kein Heiko Nieder-Gang, wenn das Gericht nicht noch den gewissen Twist hätte – hauchdünn geschnittenen Schinken (!). Nieder verwendet den Schinken auch für seinen hervorragenden Fond und zaubert eine Schinken-Muschelfond-Beurre-Blanc. Der Mut zur unorthodoxen Kombination zahlt sich aus – das Zusammenspiel schmeckt hervorragend und ist absolut süchtig machend!

 

Waren die Abstände zwischen den Gängen bis jetzt einen Tick zu lange, geht es auf einmal etwas gar schnell weiter und zwar mit einem Klassiker:

Weisser Trüffel aus Alba (8/10)

Die Kombination aus Eigelb und Trüffel ist ist ein Signature-Dish von Heiko Nieder. Obwohl das Gericht optisch der Version aus dem Jahr 2015 sehr ähnelt, schmeckt die Komposition heuer noch besser. So kommt in dieser Variante das Eigelb stärker zu Geltung. In Kombination mit dem Trüffel aus Alba, der knusprigen Kartoffel-Rolle und dem mutig abgeschmeckten Spinat lässt dies unsere Geschmacksrezeptoren jubilieren!

 

Gänsemastleber und Wagyu (7/10)

Die warme und wohlduftende Gänseleber-Essenz wird am Tisch aufgegossen. Wir tauchen den Löffel in den Teller und probieren. Auf der einen Seite irritieren die kalten Leber-Würfel, gleichzeitig begeistert uns die traumhafte Gänseleber-Consommé. Geschmacklich schafft Nieder zudem eine sehr harmonische Symbiose zwischen dem himmlischen Lebergeschmack, den erdig-süssen Randen, dem Dill und den rauchig schmeckenden Wagyu-Würfelchen. Stark!

 

Spanferkel aus der Schweiz (8/10)

Im ersten Fleisch-Gang wird uns ein Spanferkel an einer Lauch-Vinaigrette serviert die uns mit ihrer Säure extrem begeistert – wow! Das Fleisch hat einen schönen Bissen und mit dem Einsatz von Sesam, Zimt und Miso entsteht ein tolles asiatischen Geschmacksbild. Einzig der leicht lebrige Geschmack des Fleisches verhindert eine noch höhere Wertung.

 

Hirsch aus Ennetbürgen (8/10)

Der Betrieb Holzen aus dem Zentralschweizer Ennetbürgen ist ein Vorzeigebetrieb. Das Tierwohl und die Fleischqualität werden so hoch gewichtet, dass der Hof Spitzenköche in der ganzen Schweiz mit Fleisch beliefern darf. Heiko Nieder hat jeweils im Herbst den Damhirsch von Holzen auf der Karte. Der Hirschrücken ist top und wunderbar rosa. Dazu gibt es ein hervorragendes Hirschschulter-Ragout mit Holunderbeeren, welches uns extrem beeindruckt. Weiter kombiniert Nieder Curry und Rüebli. Auch die sautierten Steinpilze sind fein, auch wenn wir uns noch mehr Röstaromen wünschen. Der à part servierte Kartoffelschaum ist ebenfalls ein Traum. Schön, dass man im The Restaurant zum Hauptgang eine Beilage serviert – etwas, dass in der Spitzengastronomie leider zu verschwinden scheint.

 

Geeister Kamillentee mit Tomate und Pflaume (9/10)

Die Erfrischungen, die im The Restaurant nach dem Hauptgang serviert werden, sind immer spitze. So auch in diesem Menü. Die Mischung aus Kamillentee-Milcheis und das Kompott aus Tomate und Pflaume schmeckt hervorragend und vielschichtig.

 

Mandarine (8/10)

Das Dessert schmeckt ausgezeichnet! Die Kombination aus Mandarine und Pinienkernen ist ungewohnt aber umso schmackhafter. Auch das Spiel mit den unterschiedlichen Texturen gefällt uns extrem. Und dabei ist alles äusserst leicht und damit genau das Richtige nach einem solch umfangreichen Menü. Wir fühlen uns trotz den vielen Gängen bis zum Schluss extrem wohl.

 

Frandises & Pralinen (8/10)

Wie die Menüs von Heiko Nieder starten, so enden sie auch: mit einer grossen Auswahl an verschiedenen Köstlichkeiten. Einige Petitessen wie die Gelées sind zum Schmunzeln andere, wie das Tiramisu-Eiskaffe schmecken mega. Die danach servierten Pralinen gehören zu den Besten ihrer Art und markieren seit Jahren das grosse Schlussbouquet jedes Menüs. Jede Einzelne schmeckt fantastisch.

 

 

Fazit: Ein Besuch bei Heiko Nieder ist ein unvergessliches Erlebnis und eine sichere Bank. Man weiss, dass man auf top Niveau bekocht wird und im eleganten Restaurant unvergessliche Stunden erlebt. Nieder und sein Team arbeiten mit viel Mut, Kreativität und Geschmack. So auch in diesem Menü. Von Beginn weg sassen wir überglücklich am Tisch und erfreuten uns über die unzähligen Gerichte auf top Niveau. Nieder macht sich das Leben nicht einfach. Während andere Chefs konstant auf bestehende Kombinationen zurückgreifen, lebt Nieder seine avantgardistische Ader aus. Wir stellen beeindruckt fest, dass ihm auch nach 12 Jahren die Ideen nicht ausgehen. Ein Besuch im The Restaurant können wir wärmstens empfehlen!

Gault Millau Koch des Jahres 2019 Heiko Nieder The Restaurant The Doler Grand

 

Speisekarte: Am Abend gibt es ein Menü mit 10 (298 Franken) oder 6 Gängen (248 Franken). Es wird auch ein vegetarisches Menü in 10 (258 CHF) und 6 Gängen (208 CHF) angeboten. Am Mittag gibt es das Amuse Bouche Menü für 112 Franken.

Wein: Die Weinkarte ist riesig. Um das umfangreiche Menü optimal zu begleiten, werden jeweils zwei Weinbegleitungen angeboten. Um bei jedem Gang den perfekten Match zu finden, wird beim Menüwechsel jeweils eine aufwändige Degustation durchgeführt. Der Tagesanzeiger hat vor ein paar Jahren einen spannenden Artikel über diesen Prozess berichtet. Die Weinbegleitung Classic kostet ca. 258 Franken, die Weinbegleitung Grand ca. 358 Franken. Achtung: Die Weinbegleitungen werden in der ersten Woche nach der Menü-Umstellung nicht angeboten. Falls euch die Weinbegleitung wichtig ist, informiert euch am besten im Voraus über etwaige Menü-Wechsel. Da wir ein paar Tage nach dem Kartenwechsel im The Restaurant waren, gab es eine spontan arrangierte Weinbegleitung. Dabei bewies Sommelière Lisa Bader das sie nicht umsonst zu den Besten ihres Faches zählt. Hier die Begleitung, welche mit 298 Franken verrechnet wurde:

Cantina Terlan
2017 Quarz Sauvignon Blanc
***
Bodegas Remelluri
2014 Rioja blanco
***
Schloss Gobelsburg
2017 Grüner Veltliner Ried Lamm
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Domaine Leflaive
2011 Puligny Montrachet 1er Cru Clavoillons
***
Maison Krug
NV Grande Cuvée 167ème Edition
***
Maison Chanzy
2017 Santenay 1er Cru Beaurepaire
***
Prunotto
2009 Costamiòle Barbera d’Asti
***
Château La Fleur de Gay
2005 La Fleur de Gay
***
Maximin Grünhaus
2017 Abtsberg Riesling Auslese
***
Chanton Vins
2015 Heida Trockenbeerenauslese

 

Zeit: Das Dinner dauerte kurzweilige 4 1/2 Stunden

Online: www.thedoldergrand.com/

 

Wertung: Gourmör/ Michelin / Gault-Millau

Sonderauszeichnung: Hier fühlt man sich besonders wohl / Auszeichnung für eine tolle Weinbegleitung

 

(Besucht im September 2019)

Da Vittorio – St. Moritz in St. Moritz

Als die Familie Cerea aus dem italienischen Brusaporto vor sieben Jahren im Hotel Carlton in St. Moritz ein Zweitrestaurant eröffnete, war dies in Gourmet-Kreisen ein grosses Ereignis. Schliesslich ist es nicht alltäglich, dass ein 3-Sterne-Restaurant mit einer Dependance in die Schweiz kommt. Das Konzept entpuppte sich rasch als Erfolg und was zu Beginn nur für ein paar Saisons geplant war, entwickelte sich zum langjährigen Engagement. Der Guide Michelin zückte bereits nach dem ersten Winter den Stern und Gault-Millau zeichnete das Restaurant zum „Aufsteiger des Jahres“ aus und gab 18 Punkte ins Engadin. Alle waren glücklich! Alle? Nein, wir nicht. Unser Besuch 2013 war eine grosse Enttäuschung. Seitdem überlegen wir uns bei jeder St. Moritz-Reise, ob wir eine Rückkehr ins Da Vittorio wagen sollten. Bis jetzt überwog jeweils die Skepsis.

Als wir die diesjährige Reise ins mondäne St. Moritz planten war aber klar, dass wir dem Da Vittorio – St. Moritz, wie es offiziell heisst, endlich eine zweite Chance geben müssen. In der Zwischenzeit sind schliesslich einige Jahre ins Land gezogen und die positiven Berichte reissen nicht ab. Also buchten wir in den letzten Tagen der Saison 18/19 einen Tisch im hochdotierten Gourmetrestaurant. Das Da Vittorio befindet sich im Parterre, gleich rechts nach dem Hoteleingang. Typisch italienisch, nehmen uns gleich mehrere gut gelaunte Ragazzi in Empfang. Das Interieur mit seinen auffallend bunten Sitzbezügen ist dasselbe geblieben. Auch die etwas schummrige Beleuchtung erkennen wir vom letzten Besuch. Anders ist zum Glück die Atmosphäre. Sassen wir beim letzten Besuch fast alleine in dem etwas verwinkelten und eher engen Restaurant, sind an diesem Samstagabend zum Saisonende fast alle Tische besetzt und die Stimmung gut.

Zur lebendigen Atmosphäre trägt auch das Service-Team bei. Allen voran Restaurant Manager Giulio Bernardi. Der sympathische Italiener ist nicht nur der Traum jeder Schwiegermutter, sondern auch ein hervorragender Gastgeber. Schön für Schweizer Gourmets: Bernardi verbringt den Sommer im Schwesterhotel Eden Roc in Ascona und betreut dort das neu besternte La Brezza. Bernardi führt uns an einen der circa 15 Tische. Dieser steht vis à vis von dem mit Süssigkeiten, Kartons und Schälchen überladenen Buffet. Die Bonbons und Bällchen aus Schokolade werden später beim Grande Finale ihren Auftritt haben.

Vom klassischen Champagner-Wagen bestellen wir ein Glas Brut Rosé von Laurent-Perrier und erhalten dazu als Snack einen italienischen Taco mit Branzi-Käse aus Bergamo (-/10). Die Petitesse gefällt dank dem geschmackvollen Taco aus verschiedenen gerösteten Kernen. Der angekündigte Branzi-Käse vermag indessen gegen das starke Aroma von Sesam & Co. keine Akzente setzen, wodurch das Ganze leider zu eindimensional wirkt.

Nun reicht man uns die grossformatige Speisekarte. Darauf findet sich eine sehr schöne Auswahl an Gerichten. Neben neuen Kreationen finden wir auch Klassiker, welche im Haupthaus in Brusaporto serviert werden. Unser Blick fällt schnell auf das Menü „Carte Bianca“, welches in 7 oder 10 Gängen mit folgenden Worten angeboten wird: „Eine aussergewöhnliche Erfahrung. Lassen Sie sich überraschen und von unseren kreativen kulinarischen Ideen verführen.“ – Genau darauf haben wir heute Abend Lust. Da beim letzten Besuch die Weinbegleitung ihrem Namen keine Ehre machte, wollen wir zuerst von der grossen Weinkarte des Hotels eine Flasche bestellen. Doch auch hier motiviert uns Gastgeber Bernardi zu mehr Mut und verspricht eine aufs Menü abgestimmte Weinbegleitung. Wir vertrauen ihm und sollten später nicht enttäuscht werden.

 

Als Amuse Bouche wird uns auf einem Löffel langsam gebratener Schweinehals mit Rande (5/10) und eine frittierte Reis-Kugel mit Wachtel Ragout (-/10) serviert. Das Ragout ist super, gegen die Reiskugel ist das geschmorte Fleisch aber unter proportioniert, weshalb es geschmacklich untergeht. Ein schönes Geschmacksbild gibt es auf dem Löffel. Das Fleisch und die Rande ergänzen sich super. Weshalb Spitzenköche noch immer dieses geschmacklose Tapioka verarbeiten, entzieht sich indessen unserer Kenntnis.

 

Als Nächstes wird uns das hausgemachte Brot gereicht. Dieses schmeckt uns viel besser als beim ersten Besuch – obwohl es sich um die gleichen Sorten handelt. Die Brotsorten sind frischer und haben mehr Goût. Auch eine feine Zitronenbutter wird dazu serviert – wunderbar!

 

Gelbschwanzmakrelen-Tatar (9/10)

Mit dem ersten Gang des Menüs erfolgt auch gleich ein Paukenschlag. Das Gericht stellt den kompletten Besuch vor sechs Jahren in seinen Schatten. Der Fisch von ausgezeichneter Qualität wird von Kaviar unterstützt und von einer bemerkenswerten Fisch-Zitronen-Sauce begleitet, welche uns mit ihrer perfekt dosierten Säure in ihren Bann zieht. Abgerundet wird das elegant-meerige Gericht durch gepufften Buchweizen, der für eine knusprige Textur sorgt. Bissen für Bissen ist dies ein Hochgenuss und wir versinken förmlich im Teller.

 

 

Seebarsch-Sashimi mit knusprigem Quinoa und Miso (7/10)

Nein, vor uns liegt kein dünn aufgeschnittener Thunfisch. Dieser rare Fisch – wie auch Foie Gras – werden in der Tschuggen Gruppe aus Gründen der Nachhaltigkeit und des Tierwohls nicht serviert. Deshalb greift Küchenchef Stefano Bacchelli zum Seebarsch und zaubert daraus dieses Sashimi. Darunter befindet sich ein knackiger Salat. Ganz zuunterst sorgt diesmal gebratener Quinoa für die knusprige Textur und gibt leichte Röstaromen ab. Der Fisch ist mit einer süssen Miso beträufelt. Dies schmeckt zwar alles etwas plakativ und weniger elegant wie beim vorherigen Gericht, hat aber wiederum richtig viel Power und macht grossen Spass.

 

 

Shabu Shabu von sizilianischen Scampi (7/10)

Ein solch modernes Gericht haben wir hier nicht erwartet und vermuten, dass dies vom jungen Küchenchef Stefano Bacchelli komponiert wurde. Doch weit gefehlt. Shabu Shabu ist ein Signature-Dish im 150 Kilometer entfernten Haupthaus. Eine zentrale Rolle spielen die rohen Scampi aus Sizilien die uns mit ihrem Geschmack so richtig überzeugen. Stark auch die Harmonie der langsam schmelzenden Perlen die ein erfrischendes und leicht kühles Limetten-Gin-Aroma abgeben. Der Rosa Pfeffer sorgt für einen langen und würzigen Abgang. Ein Gericht, dass von Bissen zu Bissen noch mehr Spass macht.

 

„Uovo all’uovo“ (9/10)

Nun wird uns ein weiterer Klassiker aus Brusaporto in einem Glas serviert. Das Innenleben ist vielschichtig. Ganz zuunterst ein angenehm süsses Apfelkompott und darüber Rührei und eine Schicht vom Wachtelei. On top finden wir ein Kartoffelschaum in dem sich ein paar Perlen vom Lachsrogen verstecken. Auf die luftige Masse kommt noch eine Nocke Beluga-Kaviar. Mit dem Perlmutt-Löffel stechen wir von oben nach unten und geniessen Löffel um Löffel von diesem angenehm warmen, schlorzigen, wohlduftenden und geschmacklich extrem vielschichtigen Elixier. Die Kombination aus Ei, Apfel und dem Aroma nach dem weiten Meer ist extrem beeindruckend.

 

Risotto mit Giarratana Zwiebeln (8/10)

Mit dem Risotto folgt ein italienischer Klassiker dessen wohliger Duft uns augenblicklich in die Nasen steigt. Schon nach der ersten Gabel ist klar, dass dies eines der besten Risotto ist, welches wir jemals gegessen haben. Die Körner sind perfekt gegart, der Geschmack von den geräucherten Giarratana-Zwiebeln ist betörend und das sämige Gericht sorgt für grossen Genuss. Die Garnelen aus San Remo, die neben dem Risotto liegen, bräuchte es indessen nicht. Zum einen schmecken diese weitaus weniger spannend als die Scampi im vorherigen Gericht zum anderen ist das Risotto Highlight genug.

 

 

Lammcarré (6/10)

Darauf folgt ein kleines Stück Lammcarré. Darüber eine Lamm-Pfeffer-Reduktion, die leider viel weniger Charakter hat, als es der Name verspricht – hier hätte man mutiger sein dürfen. Begleitet wird das Lamm von einem gut abgeschmecktem Rhabarber-Kompott und zweierlei Knollensellerie. Wobei der Sellerie-Würfel in Essig eingelegt wurde und dadurch eine tolle Säure aufweist. Jede Komponente auf dem Teller schmeckt gut, eine Symbiose entsteht zwischen ihnen aber leider nicht.

 

 

Casoncelli gefüllt mit Taleggio Käse (8/10)

Das nächste Gericht bringt das Menü aber gleich wieder auf die Siegerstrasse. Die hauchdünnen Casoncelli sind gefüllt mit einem würzigen Taleggio. Zerschneidet man die Pasta, läuft der Käse über den Teller und vermengt sich mit der herrlichen Mais-Sauce. Zusammen mit dem Trüffel und dem markanten Eigelb-Aroma ergibt sich dies ein weiteres ausgezeichnetes Gericht das förmlich ein Loblied auf die italienische Küche sing. Ausgezeichnet!

 

 

Gebratenem Steinbutt (7/10)

Der Steinbutt stammt aus dem Atlantik und wog 5,8 Kilogramm bevor er heute Abend in den Ofen wanderte. Die Haut und Gräten kamen in einen separaten Topf wo sie eingekocht wurden, damit man uns jetzt diese feine Sauce kredenzen kann. Der perfekt gegarte Fisch schmeckt ausgezeichnet. Die Sauce ist die perfekte Ergänzung. Dazu serviert man uns ein Topinambur-Püree, welches ein schönes Zwiebelaroma aufweist. Super auch die gebratene Artischocken nach jüdischer Art. Schon beim Zerschneiden ist das betörende Knusper-Geräusch zu hören. Im Gaumen kommen die schönen Röstaromen gut zur Geltung. Einzig die rohen Jakobsmuscheln-Würfel auf der Artischocke erhalten lediglich eine dekorative Aufgabe.

 

Das Beste von der Taube (7/10)

Im Hauptgang gibt es Taube. Der Vogel ist von top Qualität und auch sehr gut zubereitet. Die Brust ist himmlisch zart und verfügt über eine krosse Haut. Die ebenfalls gebratene Keule hat eine Brot-Kräuter-Marinade und ist entsprechend knusprig. Dazu kredenzt man uns eine sehr gute Trauben-Sauce mit einem süss-sauren-Twist. Auf dem zusätzlichen Teller gibt es noch Innereien. Wir finden unter anderem das Herz und die Leber des Vogels. Leider liegen diese unter einem etwas ausdruckslosen Petersilienschaum.

 

Kräuter Sorbet und Joghurt Schaum (8/10)

Dieses nach verschiedenen Kräutern schmeckende und wunderbar kühle Sorbet ist die absolut perfekte Erfrischung. Minze, Basilikum und Estragon bilden mit dem tollen Joghurt-Schaum eine richtig schöne Symbiose. Beeindruckend!

 

Apfel Tarte Tatin mit Vanilleeis (8/10)

Ein Dessert-Klassiker der hier wunderschön umgesetzt ist. Am Tisch wird die grosse Tarte Tatin vom Chef persönlich präsentiert und feierlich aufgeschnitten. Das Gebäck besteht aus unzähligen, Millimeter dünnen Apfelstreifen. Die Aussenseite der Tarte ist wundervoll karamellisiert. Der Boden ist himmlisch kross. Das Dessert ist anders als die meisten Tarte Tatin viel weniger süss – dies weil Chef Bacchelli auf einen Apfel mit viel Säure setzt. Dazu gibt es eine Nocke von sehr guter Vanille-Glace. In Summe ein himmlisches Dessert als Grande Finale. Die Tarte Tatin in dieser Form ist übrigens eine Erfindung von Küchenchef Stefano Bacchelli. Die Familie Cerea war beim Kontrollbesuch so begeistert, dass man das Dessert jetzt auch im Haupthaus in Italien serviert.

Petit-Fours (9/10)

Zum starken Espresso serviert man uns vier sensationelle Friandises und verschiedene süsse Snacks aus dem „Candy-Store“. Hier gibt es eine Handvoll Sorten zur Auswahl. In Brusaporto wird ein ganzer Wagen vorgefahren. Die verschiedenen Süssigkeiten werden in einer extra dazu gemieteten Manufaktur hergestellt. Dort entstehen auch die Panettoni. 50’000 Stk. werden jedes Jahr zur Weihnachtssaison verkauft. Wir erhalten ein Stück von der neusten Errungenschaft, eine Mischung mit Früchten und Schokolade – sehr gut. Zum Finale kommt auch noch der Chef an den Tisch und füllt frisch gebackene Cornetti mit Vanille-Crème – wir wähnen uns im Schlaraffenland.

 

 

 

Fazit: Zum Glück haben wir dem Da Vittorio – St. Moritz noch eine Chance gegeben. Mit dem Gebotenen vor sechs Jahren hatte dies heute überhaupt nichts zu tun. Wo beim letzten Mal schwere Purées den Teller dominierten, finden wir jetzt eine schmackhafte und wohlduftende italienische Küche auf top Niveau. Die Gerichte machen grossen Spass und auch das umfangreiche Menü ist bis am Ende ein grosser Genuss. Aber nicht nur die Pasta und Risotto begeistern, sondern auch die Qualität von Fisch und Krustentiere – dafür ist das Da Vittorio auch in Italien sehr berühmt. Und wenn am Schluss noch frisch gefüllte, warme Cornetti gereicht wurden, ist der Abend sowieso perfekt. So schmeckt Italien!

Die Erfolgsgeschichte Da Vittorio geht weiter. Im letzten Mai wurde die Filiale in Shanghai eröffnet. Dieses Jahr eröffnet eine Dependance in Macao.

Gastgeber in der Saison 18/19: Chef Stefano Bacchelli und Restaurantleiter Giulio Bernardi

 

Speisekarte: Auf der grossformatigen Speisekarte finden wir das Degustationsmenü „Carte Bianca“ in 10 Gängen (290 Franken) oder in der etwas kürzeren 7 Gänge-Variante (230 Franken). À la carte ist die Karte in jeweils ca. sechs Vorspeisen (75 – 155 CHF), Zwischengerichte (50 – 155 CHF), Hauptgerichte (85 – 190 CHF) und Desserts (35 – 45 CHF).

Wein: Bei der Weinkarte greift man auf die grosse Wein-Bibel des Hotels zurück und ergänzt diese noch um einige zusätzliche italienischen Flaschen. Eine Weinbegleitung wird gerne angeboten. Dabei werden die 10 Gerichte aber nicht jeweils mit einem anderen Wein begleitet, sondern man fasst jeweils 1 – 3 Gerichte mit einem Wein zusammen. Folgende Begleitung haben wir genossen:

Domaine Huet
Vouvray Sec „Le Haut Lieu“ 2017
Chenin Blanc

Robert Weil
Kiedricher Gräfenberg “Erstes Gewächs” trocken 2015
Riesling

Alois Lageder
„Löwengang“ 2014
Chardonnay

Vigneti Massa
„Derthona Sterpi“ 2014
Timorasso

Peter Wegelin
Maienfelder Blauburgunder Classic 2014
Pinot Noir

Tenuta S. Leonardo
„San Leonardo“ 2013
Cabernet Sauvignon, Carmenère, Merlot

Calvados 20 Ans Chateau du Breuil

S. Giusto a Rentennano
„Vin San Giusto“ 2008
Malvasia, Trebbiano

 

Zeit: Das Menü wurde in knapp 4 Stunden serviert.

Website: https://carlton-stmoritz.ch/de/restaurants/da-vittorio-st-moritz

 

Wertung: Gourmör  / Michelin / Gault-Millau

 

(Besucht im März 2019)